Corona verändert unsere Essgewohnheiten
Den philosophischen Einstieg in den kulinarischen Extrem-Workshop machte die erfahrene Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler mit einem brandaktuellen Vortrag über unsere Essgewohnheiten, die sich angesichts der herrschenden Corona-Einflüsse dahingehend verändern, dass die Aufmerksamkeit wieder verstärkt auf zentralen Werten liegt. Beim Fleisch ist der Ruf nach Veränderung besonders laut. Es geht nicht mehr nur um Herkunft, um Haltungsbedingungen und Tiergesundheit, nicht mehr um Zucht, Schlachtung und Reifung. Es geht um die Wertschätzung für das ganze Tier.
Innere Werte
Der nachhaltige und respektvolle Umgang mit Tieren liegt Steirereck Küchenchef Heinz Reitbauer besonders am Herzen. Kein Wunder also, dass sich bei der „Reise ins Innere“ im Wiener Haubenrestaurant alles um Innereien drehte. In der österreichischen Küche, ganz besonders in Wien, hatten Innereien einst einen hohen Stellenwert. Gerichte wie „Wiener Innereienhimmel“, „Glacierte Leber“, „Beuscherl“ oder „Hirnpofesen“ haben lange Tradition. Spätestens in den 1970er Jahren wurde das Essen von Innereien aber unpopulär. Zwischenzeitlich aber weiß man, dass Innereien reich sind an gesunden Inhaltsstoffen wie Vitaminen (Vitamin A, B und C) und Mineralstoffen (Zink, Eisen, Folsäure). Beim Koch.Campus Workshop erläuterte Heinz Reitbauer, was die Qualität von Hirn,Magen, Herz, Nieren, Milz, Lunge etc. ausmacht und wie sie zu erkennen ist. Zur realistischen Veranschaulichung wurde sogar eine Kalbslunge mit dem Kompressor aufgeblasen, um genau erkennen zu können, ob die Qualität der Lunge bis ins letzte Lungenbläschen perfekt ist. Heinz Reitbauer wurde nicht müde, immer wieder zu betonen, dass das Tierwohl und die Gesundheit der Tiere ausschlaggebend sind für hochqualitative, delikate Innereien. „Mehr als bei jedem anderen Stück des Tieres sind artgerechte Haltung, vollwertige Ernährung und gesundes Wachstum bei den Innereien sofort sicht- und schmeckbar!“ Im Anschluss an die Vorträge verwandelte sich das gesamte Restaurant in ein wahres Innereien-Labor. An fünf Kochstationen wurden vom Steirereck-Team, sowie von Innereien-Experten Max Stiegl (Gut Purbach) und Fleischermeister Franz Dormayer Innereiengerichte live zubereitet und von den anwesenden Experten verkostet. Es wurden unter anderem Ceviche vom Pferdeherz, Ragout von Fischherzen, Lungen Bratwürste, Truthahn Hoden, Grammeln von der Lunge oder Backerbsen von der Milz gereicht. An einem Frischestand wurden rohe Innereien zum Begutachten und Vergleichen präsentiert und Fleischer Christoph Zotter (Fleischerei Zotter) erklärte anschaulich die Unterschiede zwischen Innereien von Tieren aus der Massentierhaltung und Innereien von Tieren aus artgerechter Tierhaltung. Küchenchef Paul Ivic (Restaurant Tian) setzte mit seinen Gemüsegerichten den vegetarischen Kontrapunkt.
Terroir Karotten
Tags darauf, in der Gastwirtschaft Floh in Langenlebarn, ging es in die Tiefe. Karotte ist gleich Karotte könnte man meinen. Irrtum! Selbst wenn dieselbe Sorte, mit Samen aus derselben Zucht, zum selben Zeitpunkt gesät wurde, aber auf unterschiedlichen Böden, dann entsteht ein großes Geschmacksspektrum. Das stellte das Experten-Team rund um Koch.Campus Küchenchef Josef Floh eindrucksvoll unter Beweis:
Im Mai 2020 wurde die Karotten-Sorte Milan an sechs verschiedenen Standorten in Österreich ausgesät. Am Lerchenhof in Straß (NÖ) herrscht Gneis vor, am Zinsenhof in Ruprechtshofen (NÖ) feine Sedimente der Melk, am Jaklhof in Kainbach bei Graz (Stmk) wird auf kalkfreiem Schotter angebaut, auf der Kleinen Farm in St. Nikolai im Sausal (Stmk) auf Mergel. In der City Farm im Wiener Augarten besteht der Boden aus feinsandigen Ablagerungen der Donau, und am Krautwerk in Großmugl (NÖ) aus Löss.
Die Karotten wurden im August zum selben Zeitpunkt an allen sechs Standorten geerntet. Der Gemüse-Experte Johann Reisinger und Robert Brodnjak vom Krautwerk bereiteten eine aufwendige sensorische Verkostung vor, bei der die Karotten in verschiedensten Aggregatzuständen (z.B. als Saft, getrocknet oder gedämpft) serviert wurden. Dabei wurden alle sechs Standorte nebeneinander in derselben Zubereitungsart serviert. Das Ergebnis in dieser Deutlichkeit war verblüffend! Die Karotten spielten jeweils ihren Bodencharakter voll aus. Das Geschmacksspektrum reichte von malzig süß über frisch fruchtig bis erdig bitter.
Besonders fruchtig und süß war zum Beispiel das Geschmacksbild der Karotten vom Krautwerk, die auf Löss gewachsen waren und jener vom Lerchenhof, die auf Gneis mit Lössanteilen wuchsen. Die Karotten aus dem Wiener Augarten hingegen, gewachsen auf Donauablagerungen, wiesen eine stark ausgeprägte mineralische Komponente auf. Auch der Kalkgehalt der Böden und das Wetter wurden berücksichtigt, scheinen aber einen weit geringeren Einfluss zu nehmen, als die Grundbeschaffenheit der Böden.