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Kulinarik

Erdrutschsieg für rosa Kalbfleisch aus Österreich

von Bettina Bäck
Team Koch.Campus

Die Organisation war aufwändig. Das Ergebnis ist ein Meilenstein. In einer Blindverkostung haben rund 70 Expert:innen Kalbfleisch aus ganz unterschiedlichen Provenienzen, Haltungs- und Fütterungsformen beurteilt. Der Koch.Campus – ein Thinktank für landwirtschaftliche Lebensmittel – hat dieses Experiment mit langem Vorlauf und professioneller Planung durchgeführt. Das Ergebnis müsste ein Erdbeben im Handel auslösen. Jedenfalls aber ein Umdenken der Gastronom:innen und Konsument:innen.

Überraschungssieg

Das Siegerkalb stammt von Michael Kerschbaumer aus den Kärntner Nockbergen, wo eine Genossenschaft von Milchbauern feinsten Käse herstellt. Für gewöhnlich werden die männlichen Kälber von Milchrassen, in diesem Fall ein Grauvieh, exportiert, weil die Tiere nicht viel Fleisch zulegen und es unwirtschaftlich ist sie großzuziehen. Bei Michael Kerschbaumer hingegen dürfen auch die männlichen Kälber bei der Mutterkuh bleiben. Stattdessen hat der engagierte Bauer Gastronomen dazu bewegt das Projekt in den Nockbergen zu unterstützen und auf ihre Speisekarten nicht nur Kalbssteak oder Schnitzel zu setzen, sondern das ganze Kalb, von Nose to Tail, zu verarbeiten. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Verkostung: der Mythos der Eleganz von weißem Kalbfleisch konnte widerlegt werden. Das rosa Kalbfleisch wurde eindeutig besser bewertet. Wenn Konsument:innen zukünftig darauf achten, dass das Kalbfleisch für das Sonntagsschnitzel oder für den Festtagsbraten – ob zu Hause oder im Restaurant - nicht nur rosa-farben ist, sondern auch aus einem österreichischen Bauernhof stammt, wählen sie damit nicht nur das gesündere Fleisch für ihre Familie sondern machen sich auch für Tierwohl stark. „Wir wünschen uns mit dem Ergebnis dieses Workshops heimischen Mästern wertvolle Informationen für ihre Entwicklung zu liefern und Köch:innen und Konsument:innen darin zu bestärken, sich über die Herkunft ihres Kalbfleisches zu informieren und ausschließlich zu heimischen Produkten zu greifen“,so Koch.Campus Obmann Andreas Döllerer.

Die Marktsituation

Knapp jedes dritte Kalb, das derzeit in Österreich konsumiert wird, wurde in den Niederlanden gemästet und geschlachtet. Außerdem gilt bei vielen Konsument:innen auch heute noch die Faustregel: weißes Fleisch ist edler als rosafarbenes. Eine Legende, deren Ursprung sich niemand recht erklären kann. Wer sich nämlich mit Fleisch auseinandersetzt weiß, dass die weiße Farbe meist auf eine nicht artgerechte Fütterung hinweist. Dies belegte auch der Vortrag von Maria Fanninger (Land schafft Leben) zu Tierethik und dem mitteleuropäischen Kalbmarkt. Unter anderem ließ sie mit absurd klingenden aber leider realen Zahlen aufhorchen: jährlich exportiert Österreich ca. 45.000 Kälber lebend und ca. 55.000 Kälber geschlachtet, während das Fleisch von ca. 105.000 Mastkälbern aus Holland importiert wird. Die Aufzucht von Masttieren hat zum Ziel, dass das Fleisch möglichst weiß und zart bleibt. Dabei bleibt die artgerechte Tierhaltung leider oft auf der Strecke.

Im Namen des Guten

Der Salzburger Haubenkoch und Koch.Campus Mitglied Andreas Döllerer ist ein großer Kalbfleischkenner und -liebhaber und die Missstände am heimischen Kalbfleischmarkt sind ihm ein Dorn im Auge. Deswegen wurde mit großem Aufwand der Koch.Campus Workshop am Stiegl-Gut-Wildshut organisiert, zu dem Geschmacksexperten aus dem In- und Ausland eingeladen wurden. Unterstützt wurde die Initiative durch SalzburgerLand Tourismus unter der Leitung von Leo Bauernberger, der selbst einst eine Kochausbildung absolviert hatte.

Der große Kalbfleisch-Test

Siebzig Expert:innen aus Österreich, der Schweiz, Deutschland, Tschechien und Slowenien (Köche, Landwirte, Fleischer, spezialisierte Presse) sind der Einladung gefolgt und haben sich am 25. April einen ganzen Tag lang intensiv mit dem Thema Kalbfleisch auseinandergesetzt. Ziel war es herauszufinden, welche Art der Haltung und Fütterung die beste Fleischqualität ergibt. Dafür organisierte der Koch.Campus neun Kälber – alle zwischen dreieinhalb und siebeneinhalb Monate alt – aus unterschiedlichen Haltungen von verschiedenen Landwirten. Sieben der neun Kälber stammten von österreichischen Landwirten. Ergänzt wurde das Sortiment um je ein holländisches und ein deutsches Mastkalbes. Die österreichischen Kälber wurden alle am 19. April auf einem Schlachthof im Lungau geschlachtet. Das Fleisch des deutschen und des holländischen Mastkalbes wurde im Großhandel erworben. Die Expert:innen wussten nicht, welches Fleisch woher stammt und konnten sich ganz unvoreingenommen dem Geruch, dem Geschmack und der Konsistenz des Fleisches widmen.

Im ersten Teil der Qualitätsprüfung lagen pro Tier Schlögel, Schulter und Niere zum visuellen Vergleich bereit. Die Verkoster wurden gebeten, im ersten Teil der Qualitätsprüfung den optischen Gesamteindruck, die Fettbeschaffenheit und die Farbe des Fettes, von 1 bis 10 zu bewerten (1 niedrigste, 10 höchste Bewertung). Im zweiten Teil wurde pro Tier ein Stück des Kalbrücken (rosa gebraten) und der Kalbshuft (als rohes Tartare) ident zubereitet und der sensorischen Überprüfung unterzogen. Die Experten vergaben wieder Noten von 1 bis 10 für Geschmack, Konsistenz und Mundgefühl.

Die Auswertung wurde in zwei Gruppen durchgeführt. Die Fachgruppe, bestehend aus 14 Köchen, Kälberzüchtern und Fleischern, die täglich mit Kalbfleisch arbeiten, im Vergleich zu 56 Geschmacksexpert:innen, die sich zwar täglich mit Genuss beschäftigen, aber nicht über fachspezifische Expertise verfügen. Das Ergebnis der peniblen Bewertungsarbeit: In beiden Gruppen wurde das Tier # 6 (Bio Tiroler Grauvieh, 4 ½ Monate) von Michael Kerschbaumer aus Radenthein eindeutig zum besten Fleisch gekürt. In der Fachgruppe folgten Tier # 9 (Bio Weissblauer Belgier, 3 ½ Monate) auf Platz 2 und Tier # 1 (Bio Original Pinzgauer, 4 Monate) auf Platz 3. Bei der Gruppe der Geschmacksexpert:innen rangiert Tier # 1 (Bio Original Pinzgauer, 4 Monate) auf Platz 2 und Tier # 8 (Kalb Rosé, 7 Monate) auf Platz 3. Nach ausführlicher Erforschung des Grundproduktes, wurde in der Küche von Andreas Döllerer in Golling ein einzigartiges Menü kreiert. Gleich fünf Koch.Campus Köche, nämlich Hubert Wallner (Hubert Wallner Gourmet Restaurant, Wörthersee), Andreas Senn (Senn´s Restaurant, Salzburg), Vitus Winkler (Sonnhof, St. Veit im Pongau), Josef Steffner (Mesnerhaus, Mauterndorf) und Hausherr Andreas Döllerer servierten ein Menü, bei dem das Kalb im Mittelpunkt stand. Bemerkenswerter Weise arbeitete keiner der Köche mit Edelteilen, sondern setzte den Nose-to-Tail-Gedanken in die Tat um. Dadurch fanden spannende Produkte wie Zunge, Leber, Bries und Hirn ihren Weg auf die Teller der anwesenden Gäste. Begleitet und unterstützt wurde der Koch.Campus von den respekt-Biodyn Winzern, Stiegl, Netzwerk Kulinarik, SalzburgerLand Tourismus, Tischlerei Lanser, Vöslauer und Lohberger.

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Über den Koch.Campus

Unter der Bezeichnung „Koch.Campus“ haben sich mehr als 30 Spitzen-Köche und fast ebenso viele landwirtschaftliche und gewerbliche Pionier-Produzenten, Hoteliers und Food-Experten aus ganz Österreich zusammengeschlossen. Als Obmänner der 58 Mitglieder starken Task Force des guten Geschmacks fungieren Hans Reisetbauer und Andreas Döllerer. Intention des Vereins ist der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Köchen und den Produzenten und die gemeinsame Erforschung und Entwicklung von regionalen Grundprodukten. Die österreichische Küche zeitgemäß zu interpretieren und auf Basis von heimischen Grundprodukten international anspruchsvoll zu positionieren, ist ein weiteres Ziel der Aktivitäten des Koch.Campus. In fachlichen Workshops, Verkostungen, Vorträgen, Exkursionen und Diskussionen setzen sich die Mitglieder des Koch.Campus mit heimischen Grundprodukten auseinander und evaluieren deren Qualitätspotential auf Basis von unterschiedlichen Arten und Rassen, Kultivierungs- und Aufzuchtvarianten, Alters- und Reifestufen sowie Zubereitungsmethoden.

Koch.Campus
Markt 56
5440 Golling

Koch.Campus

Koch.Campus Gruppenfoto
Bettina Bäck von Wine+Partners
Bettina Bäck
Senior Projektmanagerin

Bettina ist seit 2000 bei Wine+Partners und hat bis heute unzählige Projekte im In- und Ausland betreut, darunter das alpine 5-Sterne-Hotel Post Lech, den steirischen Betrieb Muster.Gamlitz und das Weingut Kozlovič in Istrien. Derzeit betreut sie Weltmeister Sommelier Marc Almert, die Schweizer Wein-Institution Baur au Lac Vins, Zürichs Brasserie to be Baur's, das Marguita (Eröffnung im Sommer 2024), den steirischen Betriebe Weingut Langmann und die Rubin Carnuntum Weingüter.