„Wir können uns auf etwas gefasst machen“
Für Frauen in der Genuss- und Wein-Branche sind Diskriminierungen nach wie vor Alltag und sie sind noch immer unterrepräsentiert. Kollektive wie die Female Chefs setzen sich für mehr Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Anerkennung ein. Gründerin Karin Stöttinger schafft mit ihrer Plattform einen digitalen Raum für Frauen, veranstaltet aber auch analoge Networking-Events. Vor allem beim weiblichen Nachwuchs ortet sie viel Potenzial.
„So wie du ausschaust, kannst du gar keine Winzerin sein.“
Diesen Satz bekam eine befreundete Winzerin unlängst zu hören. Sie sei viel zu „fesch“, man kaufe ihr die „harte Arbeit“ nicht ab. Natürlich kam diese Aussage von einem Mann mittleren Alters. Und natürlich handelt es sich um keinen Einzelfall. Spricht man mit Winzerinnen, Sommelièren, Restaurantleiterinnen, oder Köchinnen, mit Vertreterinnen aus der Wein- und Genussbranche, so hat fast jede Geschichten wie diese zu erzählen.
Bevor jetzt Stimmen laut werden: Ich habe auch bei Männern nachgefragt, ob sie Diskriminierung im beruflichen Kontext erfahren haben. Kopfschütteln. Fehlanzeige. Lediglich einer wurde aufgrund seines Alters – er hatte mit Anfang 20 sein erstes eigenes Restaurant eröffnet – von einem Gast mit einem abschätzigen Kommentar bedacht.
„It’s A Man’s World“ – Noch immer?
Spricht man von Gastronomie oder dem Weinbau, so ist oft von Männerdomänen die Rede. Zwar beginnen diese zu bröckeln, dennoch scheinen die strukturellen Probleme der Branche immanent zu sein. Das beginnt bei Diskriminierung was Positionen, Arbeitszeiten oder Gehälter betrifft und endet bei sexueller Belästigung.
Erschreckende Zahlen liefert dazu eine Studie, die die Wirtschaftskammer Wien, Arbeiterkammer und Gewerkschaft vida zu Jahresbeginn 2024 durchführten. Rund 70 Prozent der Angestellten bestätigen darin, innerhalb der letzten zwei Jahre sexuelle Belästigung beobachtet, erlebt oder davon erfahren zu haben. Betroffen seien immer mehr Frauen und als besonders anfällig habe sich die Gastronomie erwiesen. 80 Prozent der dort beschäftigten Frauen und rund die Hälfte der Männer haben bereits sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet. Aufgrund dieser dramatischen Zahlen wurde kürzlich ein Leitfaden zur Prävention sexueller Belästigung in der Gastronomie vorgestellt.
Wo sind die Frauen?
Zuverlässige Zahlen zum Frauenanteil in der Wein- und Genussbranche findet man nicht. Das Gefühl sagt uns aber, es werden mehr, es gibt mehr mediale Beachtung. In Rankings namhafter Magazine und Guides sowie bei Awards findet man immer häufiger Frauen.
„Ich fühle mich als Frau in jedem Satz diskriminiert, in dem das Wort Winzer vorkommt und nicht gegendert wird“, sagt Spitzenwinzerin Dorli Muhr im Gespräch mit Gault&Millau, der sie als Ausnahmewinzerin des Jahres 2024 auszeichnete. Wenige Wochen zuvor war sie als erste Winzerin aus Österreich vom US-Magazin Wine & Spirits unter die Top 100 Wineries of the World gewählt worden.
Awards gingen in den jeweils aktuellen Ausgaben ihrer Guides auch an die beiden Sommelièren Helena Jordan (Gault&Millau) sowie Friederike Duhme (Falstaff). Letztere engagiert sich mit dem von ihr mitgegründeten Female Wine Collective seit rund eineinhalb Jahren für FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) in der Wein-Szene. Das Kollektiv versteht sich als „Safe Space“ für gegenseitiges Empowerment, gleichzeitig will es auch einen Austausch auf Augenhöhe mit der gesamten Branche, also auch mit „männlich gelesenen Kollegen“ fördern.
Gesehen werden
„Podien und Magazine waren und sind voll von männlichen Vorbildern“, sagt Karin Stöttinger. Die Gründerin der Plattform Female Chefs googelte den Suchbegriff „Köchin Österreich“ und bekam „genau zwei Treffer. An Platz 3 rangierte sofort ein männlicher Kollege“, erzählt sie. Basierend auf einer Sammlung ihrer Kollegin Nina Mohimi, in der diese 100 führenden Frauen aus der Branche für Österreich listete, begann Stöttinger, erste Interviews mit diesen Frauen zu führen. Diese präsentiert sie seitdem auf female-chefs.com.
„Ziel der Plattform ist eine ausgewogene Berichterstattung, divers gefüllte Podien und ein gemeinsamer Auftritt von Persönlichkeiten.“
In erster Linie geht es Karin Stöttinger um Sichtbarkeit: „Denn wer nicht sichtbar ist, wird nicht gebucht, hat weniger Auslastung, weniger Mitarbeitendenanfragen und steht nicht auf Podien oder in Magazinen.“ Bei ihren Portraits kommt auch eine Art „Schneeballeffekt“ zum Tragen, Stöttinger nennt es „Roter Faden“. Jede Gesprächspartnerin – neben Köchinnen sind das auch Gastgeberinnen, Produzentinnen, Winzerinnen, Kreative und anderere Branchen-Vertreterinnen – bittet sie um Tipps, welche Frauen sie als nächstes portraitieren sollte. „Und das sind genug und jeder fällt spontan jemand ein.“
„Aktuell gibt es 70 Porträts und es gibt noch viel zu erzählen, wir stehen hier erst am Anfang. Aber jede einzelne Geschichte hat mich tief beeindruckt und ist absolut lesenswert. “
Netzwerkerinnen als Role Models
Karin Stöttinger schafft aber nicht nur einen digitalen Raum von und für Frauen, sie veranstaltet auch Female Chefs Tables, bei denen es um den direkten, persönlichen Austausch und das Vernetzen geht. Drei gab es schon in den Bundesländern, weitere sind in Planung. Und am 4. November wird in Wien mit „Female Chefs rock the stage“ das erste große Event stattfinden.
Dem massiven Personalmangel und dem Nachwuchsproblem versucht Karin Stöttinger bewusst entgegenzuwirken. „Bei jedem Female Chefs Table vergebe ich zwei kostenlose Tickets an zwei junge Frauen in Ausbildung.“ Ihr Eindruck: „WOW! Wenn das unsere Jugend ist, dann können wir uns auf etwas gefasst machen. Das sind Frauen mit einem Drive und einer Vision, sie haben einen Auftritt, können sich präsentieren und wissen ganz genau, wohin ihr Weg geht.“
Die Female Chefs beschäftigt das Nachwuchs-Thema sehr und hier sind in Zukunft Aktionen geplant. „Aber im ersten Schritt stellen all die bisher porträtierten Damen Role Models dar, die allesamt ihren Beruf lieben und das auch vermitteln.“ Apropos vermitteln: Auch männliche Kollegen unterstützen die Female Chefs und mit anderen Gruppen wie dem Female Wine Collective gibt es ebenfalls Austausch.
Hätte Karin Stöttinger drei Wünsche für die Branche offen, welche wären das? „Eine ausgewogene Berichterstattung, Bühnen, die unsere Gesellschaft wirklich repräsentieren und ein Zuhören.“
Stichwort „Zuhören“: Podcast-Tipp
Friederike Duhme vom Female Wine Collective im Gespräch mit Max Zankl in „Spruch mit Sprudel“.