Hitze, Hagel, Herausforderungen: Weinbau quo vadis?
Der Klimawandel zeigt Auswirkungen – auch in den Weinbergen. Es ist höchste Zeit, zu reagieren und Weinbau neu zu denken. Ansätze dafür liefern Weingüter in Österreich und Deutschland.
Trockene Winter, immer häufiger auftretende Frostnächte im Frühling, Hagel, Hochwasser, Hangrutschungen oder Höchsttemperaturen – extreme Wetterereignisse häufen sich, die Auswirkungen des Klimawandels sind spürbar. Sie stellen die Landwirtschaft im Allgemeinen und die Winzer:innen im Speziellen vor große Herausforderungen. Das bestätigen die Ergebnisse einer aktuellen, internationalen Umfrage. Dieser zufolge sehen sich bereits 70 Prozent der Befragten mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert.
Wie begegnen Winzer:innen den Herausforderungen der Gegenwart und wie bereiten sie sich auf die Zukunft vor? Welche Strategien verfolgt man im landwirtschaftlichen Bereich und was muss sich unternehmerisch und strategisch tun, um für den Klimawandel gewappnet zu sein?
Weingut FJ Gritsch, Wachau, Österreich
„Wir fühlen von Jahr zu Jahr mehr, dass diese Kategorisierung dem Klimawandel nicht standhält. Ich halte sie für nicht mehr zeitgemäß“, sagt der Wachauer Spitzenwinzer Franz-Josef Gritsch. Und argumentiert damit seinen Ausstieg bei der prestigeträchtigen Vereinigung Vinea Wachau, die mit dem germanischen System eine Kategorisierung der Weine nach Mindestalkoholgehalt je Qualitätsstufe vorschreibt. Das sei sinnvoll gewesen, als man noch um Reife bangen musste, angesichts der veränderten klimatischen Bedingungen sei dieses System aber nicht zukunftsfähig. Dies gelte insbesondere auch auf internationaler Ebene: „Speziell von unseren Partner:innen und Händler:innen aus diversen Exportmärkten bekommen wir laufend vermittelt, dass die Klassifizierung nach Alkoholwerten heutzutage obsolet ist.“
„Eine Alkoholklassifizierung sagt nichts über die Weinqualität aus”.
Gut Hermannsberg, Nahe, Deutschland
Zwischen sehr hohen Niederschlägen und extremer Trockenheit spannt sich der Witterungsbogen des Jahrgangs 2023 auf Gut Hermannsberg. Insbesondere die Weinlese wird Winzer Karsten Peter und seinem Team wohl noch lange in Erinnerung bleiben, denn sie startete am 9. September bei einer Rekordtemperatur von über 30 Grad (siehe Titelbild ganz oben). Trotz aller Herausforderungen verspricht der Jahrgang 2023 Großes. Der Spitzenwinzer weiß für die Zukunft: „Flexibel sein, nicht dogmatisch handeln, auf neue Bedingungen reagieren und aus den Vorjahren lernen – das wird immer wichtiger und erfordert von unserem Team in den Weinbergen enormes Engagement, viele tausende Stunden Handarbeit und größte Dynamik in allen Entscheidungen.”
MUSTER.Gamlitz, Südsteiermark, Österreich
Zu Großmutters Zeiten sind die Reben auf der Ried Grubthal in regelmäßigen Zyklen abgefroren. Die Riede galt als „grantig” und unzuverlässig. Schuld war ein Kältesee, der sich am Fuß der Riede bildet. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der „Charakter” der Ried Grubthal allerdings gewandelt. Heute ist Reinhard Muster Herr über die Riede. Die Ansammlung von kalter Luft in der Bodensenke gibt es zwar immer noch, aber mittlerweile ist der Kaltluftsee ein wesentlicher Faktor dafür, dass die Riede Jahr für Jahr Weine hervorbringt, die zu den besten Sauvignon Blancs der Welt gehören. Vielschichtig, spannungsgeladen und frisch.
Weingut Lex Langmann, Weststeiermark, Österreich
Nur 30 Minuten fährt man vom Schilcher-Weingut Lex Langmann nahe Stainz (Weststeiermark) bis zum nächsten Schilift auf der Koralpe. Durch die Lage am Fuße der Alpen gilt die Weststeiermark als eines der kühlsten Weinbaugebiete Mitteleuropas. Angesichts der Klimaerwärmung wird die Region daher auch noch in den nächsten Jahrzehnten für Frische stehen. In den geänderten klimatischen Bedingungen liegt aber auch Potenzial, etwa für die autochthone Rebsorte Blauer Wildbacher, aus der der berühmte Schilcher gemacht wird. Rebsorten wie der Blaue Wildbacher, die gemeinhin als ungestüm gelten, erleben gerade eine spannende Entwicklung. Durch die Klimaerwärmung haben sich einerseits die Anbaubedingungen in der Weststeiermark verbessert, denn die Trauben erreichen höhere Reifegrade. Andererseits bleibt die Frische aber durch die eingangs beschriebene geografische Lage erhalten.
Einer, der schon lange auf Blauen Wildbacher setzt und die aktuellen Entwicklungen durch seine Fokussierung auf diese Rebsorte bereits vorweggenommen hat, ist der erfahrene Winzer Stefan Langmann. Er und seine Tochter Verena sind Spezialisten darin, die charmante Seite des Blauen Wildbachers hervorzuholen. Besonders die Schilcher aus den Einzellagen beeindrucken mit eigenständiger Herkunftsstilistik.
Weingut Doktor Wunderer, Weinviertel, Österreich
Das Weingut Doktor Wunderer liegt in einer der kühlsten Regionen Österreichs, im nördlichen Weinviertel, im Westen direkt angrenzend an das raue Waldviertel. Die klimatische Veränderung lässt hier Weine entstehen, die von jener Frische und mineralischen Straffheit getragen sind, für die Österreich in der Weinwelt berühmt ist.
Besonders gut lässt sich das am Beispiel Grüner Veltliner veranschaulichen: Die steigenden Temperaturen haben anderenorts zur Folge, dass weniger Säure in den Reben bleibt. Das für die Rebsorte typische Aroma geht verloren und die Winzer:innen müssen zusätzlich säuern. Nicht so am Weingut Doktor Wunderer, mit dem Dr. Gerald Wunderer, im Hauptberuf Arzt und Psychiater, einen Traum wahrgemacht hat. Die rund zehn Hektar Weinberge hat er gemeinsam mit seinem Team zu einem anspruchsvollen und nachhaltigem Weinprojekt entwickelt. Hier, wo die Nächte durchschnittlich um zwei bis drei Grad kühler sind, als in klassischen Weinbaugebieten, bleibt die Säure erhalten und die Weine profitieren von mehr Aromatik und Frische.
Schloss Gobelsburg, Kamptal, Österreich
Dass sich das Sortenspektrum mit der Zeit verändern wird und sich neuen klimatischen Gegebenheiten anpassen muss, davon ist Spitzenwinzer Michael Moosbrugger überzeugt. Daher setzt er unter anderem auf PIWI-Sorten wie Blütenmuskateller. Generell sollte der Fokus künftig viel mehr auf den Lagen und weniger auf den Sorten liegen, da sich diese verändern werden. Das gilt auch für die Kommunikation, etwa auf den Etiketten.
In diesem Zusammenhang konnten die Österreichischen Traditionsweingüter, deren Bundesobmann Michael Moosbrugger ist, einen großen Erfolg verbuchen: Nach Frankreich ist Österreich das zweite Land, das eine einheitliche Lagenklassifikation gesetzlich festgeschrieben hat.
Eisenberg DAC, Österreich
Die Rebsorte Welschriesling hat im Weinbaugebiet Eisenberg zwar lange Tradition, seit geraumer Zeit aber wird sie von den engagierten Winzer:innen bewusst als „weißes Pendant” zum Blaufränkisch angebaut, für den die Region so bekannt ist. Eine logische Schlussfolgerung, denn beide Rebsorten – Welschriesling wie Blaufränkisch – verstehen es, Herkunft, Terroir und die klimatischen Besonderheiten am und um den Eisenberg auf einzigartige Weise zu transportieren.
Mit dem Jahrgang 2022 firmiert der Welschriesling als Eisenberg DAC – ein zukunftsorientierter Schachzug. Denn die späte Reife und der hohe Säuregehalt der Rebsorte – beides Faktoren, die lange Zeit negativ ins Gewicht fielen – sind nun ihr großes Plus.
Die Winzer:innen im Weinbaugebiet Eisenberg profitieren von diesen Eigenschaften und durch ihre Hitzeresistenz zeigt der Welschriesling plötzlich ganz neue Facetten sowie riesiges Potenzial. Was einst als einfacher Sommerwein belächelt wurde, ist nun ein Wein mit Wow-Faktor.
Rotweinnation Österreich
Während die Winzer:innen am Eisenberg nun auch auf Weiß setzen, wird Österreich am internationalen Parkett immer mehr als Rotweinnation wahrgenommen und geschätzt. Das belegen Spitzenbewertungen auf jamessuckling.com und jancis-robinson.com ebenso wie die Liste der Top 100 Wineries of the World, die alljährlich vom Wine & Spirits Magazine zusammengestellt wird. Von den vier dort gelisteten Weingütern aus Österreich sind drei auf Rotweine spezialisiert.
Im Ö1-Gespräch mit Volker Obermayr spricht Spitzenwinzerin Dorli Muhr aus Carnuntum über die Herausforderungen und die Chancen, die der Klimawandel für den Weinbau bringt.
Fazit
Wenn diese Beispiele eines zeigen, dann: Wie das Klima befindet sich auch die Weinwelt im Wandel. Bisherige Strategien und Vorgangsweisen haben nur mehr bedingt Gültigkeit, sollten in manchen Bereichen hinterfragt und neu gedacht werden. Trotz aller Herausforderungen wird es künftig immer wichtiger werden, den neuen Gegebenheiten offen zu begegnen. Und den Austausch untereinander zu forcieren, von den Erfahrungen anderer Winzer:innen zu profitieren und daraus zu lernen.